(De-)Constructing Central Europe: From Mitteleuropa to Visions of a Common Europe, 1918-2018

(De-)Constructing Central Europe: From Mitteleuropa to Visions of a Common Europe, 1918-2018

Organisatoren
Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien, Frankfurt an der Oder; Universität Szczecin; Willy Brandt Zentrum in Wrocław
Ort
Frankfurt an der Oder / Słubice
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.10.2018 - 20.10.2018
Url der Konferenzwebsite
Von
Julia Reinke, Graduiertenkolleg “Die DDR und die europäischen Diktaturen nach 1945“, Friedrich-Schiller-Universität Jena

2018 jährte sich eine der prägendsten Zäsuren in der europäischen Geschichte zum 100. Mal: Im Zuge des Ersten Weltkriegs, mit dem Zusammenbruch der multiethnischen Imperien, kam es insbesondere im mittleren und östlichen Europa zu einer geopolitischen Neuordnung, die ihren Niederschlag in der Gründung neuer Nationalstaaten fand. Die neuen Grenzziehungen jedoch blieben umstritten und umkämpft. Eine besondere Rolle kam dabei wissenschaftlichen Diskursen und geographischen Konzepten zu, die – politisch aufgeladen und instrumentalisiert – frei nach von Clausewitz als „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ verstanden werden können.1 Anlässlich des einhundertjährigen Jubiläums widmete sich daher die Internationale Jahrestagung an der Europa-Universität Viadrina und am Collegium Polonicum in Słubice Diskursen, Netzwerken und Akteuren in der (De-)Konstruktion von „Central Europe“2 zwischen Wissenschaft und Politik.

In Einstimmung auf das Thema begann die Konferenz mit der Eröffnung der deutsch-polnischen Ausstellung „Zwischen nationalem Stil und Moderne. Architektur der Zwischenkriegszeit in Frankfurt (Oder) und Posen“. Im einführenden Vortrag der Kuratoren UWE RADA (Berlin) und SZYMON PIOTR KUBIAK (Warschau) sowie in einer anschließenden Führung durch die im Rahmen des Projekts „1918. Die vergessene Grenze / Zapomniana Granica“3 konzipierten Wanderausstellung zeigten sich anhand der deutsch-polnischen Architekturgeschichte bereits zahlreiche Verflechtungsprozesse, fachliche Parallelitäten und Konkurrenzen im Ringen um einen „nationalen Stil“. Trotz der gravierenden wirtschaftlichen Umstrukturierungen durch die neue Grenzziehung und politischer Abgrenzungsbestrebungen bot allerdings gerade der Blick auf die Architektursprache der Zwischenkriegszeit zahlreiche Beispiele für eine zwar nicht gemeinsame, aber doch vielfach parallele Entwicklung hin zur Moderne – und mit diesem Ausschnitt von Verflechtungsgeschichte eine treffliche Einstimmung auf die folgende Auseinandersetzung mit „Central Europe“.

Diese begann dann offiziell nach einleitenden Grußworten von DAGMARA JAJEŚNIAK-QUAST (Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien, Frankfurt an der Oder), JÖRG HACKMANN (Universität Stettin) und DARIUSZ WOJTASZYN (Willy-Brandt-Zentrum, Wrocław) mit dem ersten Panel, das sich mit Diskursen beschäftigte. Als Einführung ins Thema löste dieses bereits den Anspruch auf Interdisziplinarität in höchstem Maße ein, indem es geschichts-, musik- und sprachwissenschaftliche Perspektiven umfasste.

So schlug Jörg Hackmann in seinem Vortrag einen breiten wie differenzierten begriffsgeschichtlichen Bogen und erschloss das diskursive Spannungsfeld der diversen Konzeptionen von „Central Europe“ aus verschiedenen Perspektiven im Verlauf des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart: Ausgehend von den jüngsten Bestrebungen zu einer „Drei-Meere-Initiative“, welche als „Trójmorze“ mit der polnischen Zwischenkriegskonzeption von „Międzymorze“/„Intermarium“ korrespondiert, begann er seine Synopse der diversen Ansätze, unter denen die in Deutschland seit 1989 vorwiegend als „Ostmitteleuropa“ firmierende Region in jeweils unterschiedlichen Kontexten und mit unterschiedlichem politischen Gehalt gefasst wurde. Auf diese Weise wurden bereits zu Beginn der Konferenz die unterschiedlichen politischen Implikationen sowie deren verschiedene Träger beziehungsweise Akteure deutlich.

Eine sowohl geographisch als auch disziplinär andere Perspektive vertrat die Musikwissenschaftlerin LJUBICA ILIĆ (Novi Sad), die sich in ihrem Vortrag den – häufig utopischen und teilweise idealisierten – Konstruktionen „mitteleuropäischer“ Kultur von der südosteuropäischen Peripherie aus widmete. Während ostmitteleuropäische Künstler eine Trennung der „humanistischen“ von der „politischen“ Imagination von „Central Europeanness“ postulierten, zeigte sie anhand zweier jugoslawischer Beispiele, des Schriftstellers Danilo Kiš und des Komponisten Rudolf Brucci, mit sehr „mitteleuropäischen“ multiethnischen Biographien Dekonstruktionen von „Central Europeanness“. Diese blieb dennoch als Konzept ethnischer Diversität ein metaphorischer Bezugspunkt zwischen „westlichem“ Kapitalismus und Konsum auf der einen und nationalistischen Partikularismen auf der anderen Seite und konnte über eine gemeinsame humanistische Tradition auch in der jugoslawischen Kunst an der „Peripherie“ adaptiert werden.

Das erste Panel komplettierte schließlich TOMASZ KAMUSELLA (St. Andrews) mit seinem Beitrag zu Sprache, Sprachpolitik und Nationalismen. Monozentrischen Sprachen, die von einer Kongruenz in der Trias „Sprache – Nation – Staat“ ausgingen, stellte er plurizentrische Sprachen wie Russisch oder Serbokroatisch entgegen. Während „Central Europe“ im 20. Jahrhundert zwar zunehmend durch ethnolinguistischen Nationalismus charakterisiert sei, erinnerte Kamusella an die Konstruiertheit von Sprache und Nation, die keineswegs „naturgegeben“, sondern menschengemachte Produkte seien und damit stets auch der Gefahr einer „weaponization“, einer Instrumentalisierung von Sprache für neoimperiale Expansion unterlägen.

Das zweite Panel zu „Hegemonialen Visionen Mitteleuropas“ wollte konventionelle Sichtweisen auf die Zwischenkriegszeit kritisch hinterfragen und erweiterte ebenso den geographischen Radius.

Wie ALIAKSANDR PIAHANAU (Toulouse) mit seinem Beitrag über das „Donaudreieck“-Projekt eindrücklich zeigte, gab es jenseits des simplifizierenden Bildes von ausschließlichem nationalistischen Revanchismus im Ungarn der Zwischenkriegszeit durchaus ernstzunehmende – wenn auch letztlich gescheiterte – Bemühungen um eine wirtschaftlich notwendige Zusammenarbeit insbesondere mit Prag und Wien: Frühere Interdependenzen und Netzwerke erwiesen sich dabei als beständig und offenbarten verflechtungsgeschichtliche Kontinuitäten in „Central Europe“, die dem politischen Revanchismus der Zeit bis zur Großzäsur der Weltwirtschaftskrise durchaus pragmatische transnationale Kooperationen auf wirtschaftlicher Ebene abrangen.

ÁDÁM SASHALMI (Budapest) stellte die italienische Perspektive auf „Central Europe“ in der Zwischenkriegszeit vor und analysierte unter einem geopolitischen Ansatz verschiedene Versuche regionaler Integration, oder – zur Schwächung anderer Mächte über die Unterstützung beispielsweise des kroatischen Separatismus – auch der Desintegration. Letztlich sei darin jedoch keine kohärente italienische Strategie für „Central Europe“ zu erkennen, sondern eine situative und opportunistische Politik, die sich internationalen Entwicklungen unterordnen und letztlich dem deutschen Expansionsstreben unter nationalsozialistischer Führung geschlagen geben musste.

Das Panel schloss PETER POLAK-SPRINGER (Doha), der in seinem Vortrag die einflussreiche deutsche „Ostforschung“ von der Nachkriegszeit bis in den Zweiten Weltkrieg hinein am Beispiel von Diskursen zu (Ober-)Schlesien darstellte. Während es Variationen der Diskurse entlang der politischen Parteilinien etwa des katholischen Zentrums, der Sozialdemokratie und völkischer „Ostforscher“ gab, waren ihnen doch die Motive einer „Halbinsel“ oder „Brücke“ gemein, deren Funktionen und Gehalt entsprechend unterschiedlich und zunehmend biologistisch aufgeladen wurden. Die diskursive und ideologische Verortung „Oberschlesiens“ in der angefochtenen und schließlich gewaltsam umgestoßenen Nachkriegsordnung offenbarte so Schlüsse auf Konzeptionen der politischen Geographie dieser Region.

In seinem weiterführenden Kommentar forderte TIM BUCHEN (Dresden) eine stärkere wechselseitige Rückbindung von Diskurs- und Ereignisgeschichte und problematisierte die Frage nach den konkreten Akteuren sowie deren Handlungsmotivationen und -spielräumen, etwa im Spannungsfeld von Revisionismus und Kooperationsdruck.

Dies leitete zum dritten Panel über, das dezidiert Akteure in der „Mitteleuropa“-Debatte thematisierte. Wie MACIEJ GÓRNY (Warschau) in seinem Beitrag eindrücklich zeigen konnte, hingen Raumkonzeptionen eng mit der Biographie ihrer Urheber zusammen. Ausgehend von dem bekannten „Ostforscher“ und politischen Geographen Albrecht Penck, der Begriffe wie „Volksboden“, „Kulturboden“ und „Schicksalsboden“ popularisierte, untersuchte Górny die ideengeschichtlichen Wurzeln dieser Theoreme bei dem ehemaligen Penck-Schüler und mutmaßlichem „Vordenker“ Erwin Hanslik sowie weiterer Schüler von der „Peripherie Mitteleuropas“. Deutlich wurden so verschiedene Strategien der politischen Geographen, die geographische, kulturelle und ethnische Argumentationsmuster flexibel und je nach politischen Interessen sehr unterschiedlich in den jeweiligen Grenzdiskursen einsetzen konnten.

Eine besonders unkonventionelle Perspektive auf „Central Europe“ bot dann MIŁOSZ CYBOWSKI (Poznań), der verschiedene „alternative Geschichten“ in so unterschiedlichen Medien polnischer Popkultur wie Belletristik, aber auch Comics, Brett- oder Videospielen sowie der Malerei vorstellte. Zwischen kontrafaktischer Geschichte und futuristischen (in der Zukunft situierten, potentiellen) Geschichten sowie zwischen Dystopie und kompensatorischer Glorifizierung zeigten sich darin fiktive Versionen „Mitteleuropas“, die zum einen auf Kontingenz und Konstruktion in der Geschichte verweisen, vor allem aber einen aufschlussreichen Blick auf die polnische Geschichtskultur geben.

In seinem Kommentar problematisierte TIMM BEICHELT (Frankfurt an der Oder) von einem sozialwissenschaftlichen Standpunkt aus die Rolle der thematisierten Akteure als lediglich im framing von Konzeptionen liegend und mahnte eine vertiefte soziologische Kontextualisierung der Autoren sowie ihres Publikums an. Die anschließende Diskussion griff die Frage nach der Rezeption auf und führte zudem zu einer fruchtbaren Kontroverse über unterschiedliche Akteursbegriffe und -qualitäten zwischen Entscheidungsträgern oder „Experten“ in Diskursen. Ferner wurden methodologische Aspekte in der Erforschung „alternativer Geschichten“ diskutiert, wie etwa der Quellenwert von Fiktion.

Die äußerst facettenreiche und anregende Keynote von ANDRIJ PORTNOV (Frankfurt an der Oder) öffnete mit einem eindrucksvollen Überblick über Monumente in diversen ostmitteleuropäischen Staaten, die jeweils das vermeintliche „geographische Zentrum Europas“ markierten, und verwies damit anschaulich auf die Kernfrage der Konferenz nach der Definition von „Central Europe“ und deren Standortabhängigkeit. Anschließend schlug er den Bogen vom „Mitteleuropa“ Naumanns und dem Topos des „Deutschen Ostens“ über die einschneidende Zäsur von Jalta, wo 1945 die Aufteilung Europas in „Ost“ und „West“ festgeschrieben wurde, sowie Oskar Haleckis antisowjetisch als „Grenzraum des Abendlandes“ konzipiertes „Ostmitteleuropa“ bis hin zum NATO- und schließlich 2004 EU-Beitritt vieler „mitteleuropäischer“ Staaten. Von einer weiter östlichen Perspektive zeige sich aber, dass die Europäische Union vielleicht die Trennlinie von 1945 zu überwinden vermochte, nicht jedoch die von 1917, als etwa Moldawien, Belarus und vor allem die Ukraine nicht von dieser Integration erfasst wurden. Gerade am ukrainischen Beispiel könne man daher sehen, wie „Central Europe“ zwar einerseits als Selbstbeschreibung aufgegriffen wurde, das Konzept jedoch auch ein diskriminierendes Potential habe: So benötige ein „Mitteleuropa“ stets auch ein „Osteuropa“ zur Abgrenzung.

Der zweite Tag begann mit einem Panel zu „Central Europe“ aus wirtschaftlicher Perspektive: ERIK RADISCH (Passau) untersuchte die Binnenstrukturen des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und hinterfragte dabei die vermeintlich monolithische „Durchherrschung“ des sowjetischen Machtbereichs, indem er Konzepte aus der Imperialismusforschung nutzbar machte. Während in der stalinistischen Ära mit dem „Berater-System“ eine „quasi-formale“ imperiale Herrschaftsweise bestanden habe, entwickelte sich im Zuge der Entstalinisierung eine schließlich institutionalisierte, multilaterale Struktur aus gleichberechtigt besetzten Expertenkommissionen, in der für die „Satellitenstaaten“ neue Handlungsspielräume entstanden. Die Sowjetunion habe darauf mit einer Strategie von „konsultativer Anleitung“ reagiert und sich somit auf eine informelle imperiale Herrschaftspraxis verlagert.

IVAN OBADIĆ (Zagreb) zeigte in seinem Beitrag, wie Jugoslawien angesichts zunehmender westeuropäischer Integration auf wirtschaftlicher Ebene eine andere ökonomische Vision von „Central Europe“ entwickelte: Zwischen ideologischem Anspruch und wirtschaftlichem Druck suchten jugoslawische Ökonomen neue Optionen für den blockfreien Staat, jenseits von einer zu starken Westorientierung und dem RGW, und entdeckten eine Alternative schließlich in der Balkan-/Donauregion. Eine Institutionalisierung dieser Alternative gelang allerdings nicht.

In seinem Kommentar problematisierte UWE MÜLLER (Leipzig) unter anderem den Begriff der „Integration“ für den sozialistischen Wirtschaftsraum sowie Desintegration als dessen Kehrseite und plädierte für eine noch stärkere Nutzung der Empire-Forschung.

Mit dem abschließenden Panel schlug die Konferenz noch einmal den Bogen zurück zur diskursiven Ebene und beleuchtete hier vor allem die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, auch über die Zäsur von 1989 hinaus, sowie den externen Blick auf „Central Europe“ von den beiden Machtzentren der bipolaren Weltordnung (den USA und der Sowjetunion) aus.

So öffnete KAI JOHANN WILLMS (München) das Panel mit einem Beitrag zu den akademischen und politischen Aktivitäten polnischer Gelehrter in ihrem US-amerikanischen Exil nach dem Zweiten Weltkrieg. Besonders eindrücklich zeigte er am Beispiel Oskar Haleckis, wie dieser sein Konzept von „Ostmitteleuropa“ als eine von vier europäischen Großregionen an Topoi aus dem US-amerikanischen politischen Diskurs anband und unter den Schlagworten von „nationaler Selbstbestimmung“ wie der „westlichen Zivilisation“ gegen Nationalsozialismus und Bolschewismus formulierte. Nachfolgende und zunehmend in den USA sozialisierte Wissenschaftler wie Feliks Gross, Piotr Wandycz und Zbigniew Brzeziński entwickelten Haleckis „jagiellonische Idee“ weiter und exemplifizierten so letztlich eine „doppelte De-Provinzialisierung“ (Peter Burke), in der sich Diskurse der Emigration und der Aufnahmegesellschaft gegenseitig befruchteten.

DARIA VOYLOSHNIKOVA (Fribourg) analysierte anschließend den sowjetischen akademischen Diskurs über „Central Europe“: Während keine präzise ausdefinierte, explizite und etablierte Konzeption davon existierte, kontrastierte sie in einer indirekten Analyse verschiedene Bezeichnungen mit unterschiedlichem Gehalt, die in weniger politisierten geographischen, geologischen oder archäologischen Werken Verwendung fanden. So zeigte sie an unterschiedlichen enzyklopädischen Einträgen, wie dieselben Staaten sowohl unter „Ost-“- als auch „Mitteleuropa“ firmieren konnten, wobei in der Definition des „mittleren Europas“ zuweilen sogar die Blockgrenze überschritten wurde. Indem der Beitrag die Inkonsistenz in der Terminologie sowie die fehlende theoretische Entwicklung des Konzepts verdeutlichte, verwies er auf die vielleicht gerade durch diese „offene“ Anschlussfähigkeit bedingte Vitalität von „Central Europe“.

WERONIKA PARFIANOWICZ (Warschau) schließlich beschäftigte sich mit dem Nachleben des vormals eher antisowjetisch-emanzipatorisch gedachten Konzepts von "Central Europe“ polnischer oder tschechischer Dissidenten nach der Zäsur 1989 und der vermeintlichen „Rückkehr“ der ostmitteleuropäischen Staaten in „den Westen“. Im Verlauf der 1990er-Jahre traten auch in akademischen Diskursen, wie sie anhand eines Tagungsbandes von 1999 zeigte, vermehrt neue Befürchtungen auf, die zu einer neuen Aufladung der Selbstidentifikation als „Central Europe“ führten – dieses Mal in Abgrenzung zum „Westen“ und seiner Massenkultur sowie „herzlosen“ globalen Marktwirtschaft unter Betonung traditioneller Werte und nationaler Identität als Verpflichtung. Parfianowicz arbeitete damit die Kehrseite des für „Central Europe“ typischen nationalen, ethnischen, religiösen und kulturellen Pluralismus heraus und wies auf die Gefahren erneuter nationaler Partikularismen und illiberaler Werte hin.

In seinem Kommentar problematisierte PETER POLAK-SPRINGER (Doha) wiederum die Positionierung von „Central Europe“ zwischen „westlicher Zivilisation“ und „dem Osten“ in Gestalt der Sowjetunion und fragte nach der Reichweite und Wirkungsmacht der Diskurse.

In ihren Schlussbemerkungen verwies Dagmara Jajeśniak-Quast auf die Ergebnisse der Tagung; benannt wurden von ihr wie in der Schlussdiskussion jedoch auch einige Leerstellen der Konferenz: So habe sich sehr deutlich gezeigt, dass es nicht das eine „Central Europe“ gebe, sondern das Konzept abhängig von Trägern und Akteuren sei, von Zeit und Ort, und ebenso stets Instrumentalisierungen unterliege. Unterbelichtet und daher zukünftig notwendig seien eine Erweiterung des Kanons, vor allem durch eine breitere Gender-Perspektive, die nicht nur Visionen von Männern in den Blick nehme, ebenso die Verknüpfung mit globalen Entwicklungen und eine noch stärkere Berücksichtigung der Peripherie, auch unter Anleihen bei den Postcolonial Studies, eine nähere Beschäftigung mit dem Topos der „Rückständigkeit“ und etwa mit der Minderheit der Roma, die gegenwärtig im Sinne von Othering als „das Andere“ fungierten.

Trotz dieser genannten weiteren Desiderate gelang es der Konferenz in einer in zeitlicher, geographischer und disziplinärer Hinsicht bemerkenswerten Breite, klassische sowie neue und teilweise experimentelle Perspektiven auf „Central Europe“ aufzuzeigen. Dass am Ende keine trennscharfe und allgemeinverbindliche Definition von "Central Europe“ stand, sondern divergierende, konkurrierende und changierende Konzepte nach- und nebeneinander bestehen blieben, entsprach genau dem Anspruch von (De-)Konstruktion der unter „Central Europe“ in unterschiedlichen Kontexten firmierenden mental maps. Durch die Verknüpfung von diskursgeschichtlichen mit politik- und wirtschaftshistorischen Zugängen wurde, zwar nicht immer direkt auf einander bezogen, doch grundsätzlich die Interdependenz zwischen Wissenschaft und Politik deutlich. Auf diese Weise ergab die Konferenz einen äußerst differenzierten und facettenreichen, wenn auch noch keineswegs erschöpfenden Blick auf die Region „Central Europe“, wie er speziell der Viadrina im besten Sinne eigen zu sein scheint.

Konferenzübersicht:

Uwe Rada (Berlin) / Szymon Piotr Kubiak (Warsaw): Introduction to the Exhibition “Between National Style and Modernity. Architecture of the Interwar-Period in Poznan and Frankfurt (Oder)”

Dagmara Jajeśniak-Quast (Center for Interdisciplinary Polish Studies, Frankfurt an der Oder) / Jörg Hackmann (Szczecin University) / Dariusz Wojtaszyn (Willy Brandt Center Wrocław): Opening

Panel 1: Discourses on the Central Europe Debate I
Moderation: Małgorzata Szajbel-Keck (Frankfurt an der Oder)

Jörg Hackmann (Szczecin): The End of Ostmitteleuropa and the Return of Zwischeneuropa?

Ljubica Ilić (Novi Sad): Central Europe at the Borders: The Place as a Refuge, the Self as the Other

Tomasz Kamusella (St. Andrews): Pluricentric and Monocentric Languages in Central Europe: Between Nationalisms and Points of View

Panel 2: Hegemonic Visions of Central Europe
Moderation: Mark Keck-Szajbel (Frankfurt an der Oder)

Aliaksandr Piahanau (Toulouse): Danubian Triangle – A Failed Project at Uniting Central Europe in the Interwar. Hungarian Attempts at Political-Economic Rapprochement with Austria and Czechoslovakia

Ádám Sashalmi (Budapest): The Italian Perspective Related to Central Europe between the Two World Wars

Peter Polak-Springer (Doha): (Upper) Silesia as Germany’s Peninsula: Regional Representations of the ‘German East’ in the Context of Interwar German Revisionism

Tim Buchen (Dresden): Commentary

Panel 3: Actors in the Central Europe Debate
Moderation: Anna Labentz (Frankfurt an der Oder)

Maciej Górny (Warsaw): Albrecht Penck – Mapping Lebensraum in the East

Miłosz Cybowski (Poznan): Alternative Histories of Central Europe in Polish Popular Culture: Wolski, Parowksi, Dukaj and others

Timm Beichelt (Frankfurt an derOder): Commentary

Keynote Lecture
Andrii Portnov (Frankfurt an der Oder): ‘Central Europe(s)’ to the East of the Oder: History and Politics
Introduction: Julia von Blumenthal (Frankfurt an der Oder)

Panel 4: Economic Visions of Central and Eastern Europe
Moderation: Falk Flade (Frankfurt an der Oder)

Erik Radisch (Passau): From the Stalinist Adviser-System to a Collective Leadership. The COMECON-Reforms from 1953–1971 from an Imperial Perspective

Ivan Obadić (Zagreb): An Eastern OECD? Yugoslav Vision of Economic Integration of Central Europe

Uwe Müller (Leipzig): Commentary

Panel 5: Discourses on the Central Europe Debate II
Moderation: Frank Grelka (Frankfurt an der Oder)

Kai Johann Willms (Munich): Constructing (East) Central Europe in Exile: The Scholarly and Political Activities of Polish Émigré Scholars in the US after 1945

Daria Voyloshnikova (Fribourg): The Concept of Central Europe in the Post-War Soviet Academic Discourse

Weronika Parfianowicz (Warsaw): What Kind of Central Europe do Central Europeans Need?

Peter Polak-Springer (Doha): Commentary

Conclusions

Anmerkungen:
1 Vgl. die Beschreibung in der Ankündigung der Konferenz, online unter https://www.pol-int.org/en/deconstructing (08.12.2018).
2 Die Übersetzung „Mitteleuropa“ verweist bereits auf ein zentrales Konzept, das gleichnamige Werk Friedrich Naumanns von 1915, und findet als entsprechend politisch konnotiert in gegenwärtigen deutschen akademischen Diskursen so kaum noch Verwendung, während sich der Begriff „Zentraleuropa“ im Sprachgebrauch der deutschen geschichtswissenschaftlichen Praxis bislang nicht durchgesetzt hat. Vgl. dazu auch die kritische Diskussion von Philipp Ther, Von Ostmitteleuropa nach Zentraleuropa - Kulturgeschichte als Area Studies, in: H-Soz-Kult, 02.06.2006, https://www.hsozkult.de/article/id/artikel-739 (08.12.2018).
3 Vgl. die Projekthomepage, online unter http://www.1918-2018.eu/ (08.12.2018) sowie die zentrale Begleitpublikation von Uwe Rada / Dagmara Jajeśniak-Quast, Die vergessene Grenze. Eine deutsch-polnische Spurensuche von Oberschlesien bis zur Ostsee, Berlin 2018.